Den Begriff AVWS – eine Abkürzung für: „auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen“ – hört man im lerntherapeutischen (und schulischen) Kontext in den letzten Jahren vermehrt, aber viele können sich darunter nichts Genaues vorstellen.
In diesem Gastbeitrag gibt uns Anke Haefele, Sonderschullehrerin und Lerntherapeutin in Offenburg, Antworten auf wichtige Fragen.
Was versteht man unter AVWS?
Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen liegen vor, wenn Schwierigkeiten in der Verarbeitung des Gehörten in ein oder mehreren Bereichen vorliegen, obwohl das Ohr an sich in Ordnung ist und die Intelligenz im Normalbereich liegt.
Wie fällt eine AVWS im Alltag auf?
Bei Kindern entsteht ein Verdacht auf AVWS, wenn:
- sie auf verbale Aufforderungen unangemessen reagieren und häufig nachfragen
- ihre Sprachentwicklung beeinträchtigt ist (und sich trotz Logopädie nicht verbessert)
- es ihnen schnell zu laut wird
- sie Mühe haben, Sprache aus Störlärm herauszufiltern
- sie Schwierigkeiten beim Heraushören von An-In- und Auslauten haben
- sich Schwierigkeiten in der Rechtschreibung zeigen
Wie wird AVWS diagnostiziert?
Es braucht eine differenzierte Diagnostik, um herauszufinden, welche Teilbereiche bei dem Kind beeinträchtigt und die Ursache für die Symptome sind. Diese Diagnostik ist umfangreich, aufwändig und erfolgt im Idealfall interdisziplinär. Da AVWS eine Ausschlussdiagnose ist, sollten vorher folgende Untersuchungen stattfinden:
Was passiert nach der Diagnostik? Wohin zur Förderung?
Nach der Diagnostik sollten die auffälligen Bereiche gezielt am Stand des Kindes trainiert werden, z.B.
- als Sprachtherapie bei Logopäden (nach den Heilmittelrichtlinien),
- durch Betreuung des mobilen Dienstes der zuständigen pädagogisch-audiologischen Beratungsstelle (die Fachärzte für Phoniatrie/Pädaudiologie vermitteln den Kontakt),
- als Lerntherapie, wenn zusätzlich eine Lese-Rechtschreibschwäche vorliegt.
Was können LehrerInnen tun?
Ein „hörfreundliches Umfeld“ kann für ein Kind mit AVWS sehr hilfreich sein. Dies betrifft zum einen die Klassenraumakkustik. Hierbei kann es helfen, wenn
- Störgeräusche minimal gehalten werden, indem man Tisch-und Stuhlbeine mit Gleitpolstern versieht
- Vorhänge, Rollos und Gardinen an Fenstern angebracht werden
- eine drahtlose Signalübertragungsanlage genutzt wird (kann nach einer Diagnose per Rezept beantragt werden)
- schallabsorbierende Materialien benutzt werden (z.B. Gummiplatten auf den Tischen)
LehrerInnen sollten gut über AVWS informiert sein und darauf achten, dass
- der Sitzplatz des Kindes so gewählt ist, dass es das Gesicht der Lehrperson gut sehen kann und er möglichst fern von Geräuschquellen liegt. Zudem sollten sehr unruhige Schüler möglichst nicht neben ein Kind mit AVWS platziert werden.
- ein häufiger Sitzplatzwechsel vermieden wird.
- die Lehrersprache ruhig, natürlich und dabei auch prosodisch und lebendig ist- das Hören zu einem Erlebnis machen!
- unterstützend Gestik, Mimik und viele Visualisierungen eingesetzt werden.
- das Kind immer das Gefühl hat, oft nachfragen zu dürfen.
- die auditive Aufmerksamkeit des Kindes gesichert ist (evtl. Signal dazu geben).
Empfehlungen für Eltern
Eltern können und sollten sich aktiv daran beteiligen, ihre Kinder durch die Behandlung, aber auch durch die Förderung zu führen, indem sie
- ihre Kinder möglichst gut darüber informieren, warum sie im Alltag/in der Schule Schwierigkeiten haben und was man dagegen tun kann. Dabei sollte betont werden, dass es sich um „nur“um Schwierigkeiten beim „Hören“ handelt.
- ihr Kind immer bestärken, nachzufragen, und loben wenn es dies tut bzw. sich rückversichert, ob es Gesprächsinhalte korrekt verstanden hat.
- ihrem Kind bei einer Beeinträchtigung des auditiven Gedächtnisses dem Kind helfen, sich Strategien anzugewöhnen wie z.B. das Aufschreiben von Schlüsselwörtern.
- sich versichern, dass das Kind aufmerksam ist, wenn sie ihm etwas sagen möchten (evtl.durch eine sanfte Berührung an der Schulter).
- störende Umgebungsgeräusche daheim reduzieren, wenn sie ein Gespräch führen möchten (Fernseher, Radio, Waschmaschine etc).
- mit ihrem Kind deutlich sprechen und v.a.
- viel Geduld mit ihrem Kind haben, denn es benötigt viele Wiederholungen, bis z.B. Lerninhalte beherrscht werden.
Fördermöglichkeiten und -materialien in der (Lern-)Therapie
Für das Vorschulalter:
- Christiansen, C: Wuppis Abenteuerreise. Übungsprogramm zur phonologischen Bewusstheit (Finken) 2005
- Küspert, P.: Schneider,W.: Hören, Lauschen, Lernen. Sprachspiele für Kinder im Vorschulalter- Würzburger Trainingsprogramm ( Vandenhoeck&Ruprecht) 2008
- Spiele u.a. „Ratz-Fatz“ (HABA), „Klanglotto 1,2“ (Schubi Lernmedien)
Für das Grundschulalter:
- Nickisch, A.; Heber, D.; Burger-Gartner, J.: AVWS bei Schulkindern; Übungsmaterialien: Diagnostik und Therapie (Verlag modernes lernen-Dortmund) 2014
- AudioLog4, Übungen zur auditiven Wahrnehmung und der zentralen Sprachverarbeitung; Computerprogramm
(http://www.flexoft.de/index.htm) - Spiele u.a.: „Koffer packen“ (Ravensburger), „Obstgarten“ (HABA)
Bildquelle Beitragsbild: Canva
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